Er ist in Köln groß geworden und leidenschaftlicher Kölner geblieben: Der Humanbiologe Michael Schemann. Beruflich hat es ihn nach Süddeutschland verschlagen. Er ist Professor an der TU München. Ein Interview zu seiner Heimatstadt und zur Corona-Pandemie.
Koeln-Magazin.de: Herr Professor Schemann, man munkelt, dass Sie im fernen München immer noch emotional mit Köln verbunden geblieben sind?
Prof. Michael Schemann: Das ist so. Als Kölner wird einem offensichtlich ein besonderes „Heimatgen“ mitgegeben. Der Kölner neigt ja in seiner romantischen Verklärung immer zur emotionalen Überhöhung seiner Heimatstadt – und das natürlich vollkommen zu Recht. Einmal Kölner immer Kölner – egal wo es einen hinverschlägt. Es bereitet mir großes Vergnügen, in die entgeisterten Gesichter zu schauen, wenn ich von der Gnade der Kölner Geburt fabuliere.
Als FC-Fan hat man es sicherlich nicht einfach in Bayern?
Als FC-Fan leidet man zurzeit überall, in Bayern allerdings ein gehöriges Stück mehr. Aber da muss man durch. Ich versuche jedes Mal im Stadion zu sein, wenn der FC in bayerischen Gefilden spielt.
Und wie schmeckt einem das Kölsch bei dem doch sehr reichhaltigen Bierangebot im Süden?
Nach langer Suche habe ich einen Getränkehändler gefunden, der mir (Früh-)Kölsch besorgt. Allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ich wahrscheinlich Zollgebühren zahlen muss.
Hat Sie als Humanbiologe und Wissenschaftler der Ausbruch der Corona-Krise überrascht?
Nicht wirklich! Wir vergessen, dass schon seit Jahrzehnten vor einer Pandemie gewarnt wird; die meisten befürchteten allerdings eher eine durch das Grippevirus ausgelöste Pandemie. Schon 2002/2003 gab es eine SARS-COV-1 Epidemie; wir waren also alarmiert. Damals blieb die Katastrophe aus, da dieser Verwandte des aktuellen Coronavirus nicht so ansteckend war. Wir müssen uns auch klarmachen, dass die jetzige Pandemie nicht die letzte sein wird.
Vielen ist die Geschwindigkeit bei der Entwicklung eines Impfstoffes unheimlich, weil es sehr schnell gegangen ist. Sind diese Sorgen berechtigt?
Ich bin da vollkommen entspannt. Wenn ich an der Reihe bin, werde ich mich ohne mit der Wimper zu zucken impfen lassen. Die sehr wirksamen mRNA Impfstoffe basieren auf einer Technik, an der Firmen wie Biontech oder Curevac zum Teil seit Jahrzehnten arbeiten, allerdings primär mit dem Ziel, eine neue Krebstherapie zu etablieren. Während dieser Zeit haben die Firmen die Anwendung der mRNA Therapie optimiert. Die Entwicklung der Grundlagen für die mRNA Impfstoffe ist also gar nicht so schnell gewesen wie viele glauben. Sehr schnell ging dann die Erprobung der Impfstoffe unter klinischen Bedingungen. Dies aber auch nicht auf Kosten der Sicherheit, sondern weil die Zulassungsbehörden parallel zu den Studien die Ergebnisse bewerten konnten, eine Strategie, die als „rolling review Verfahren“ bezeichnet wird.
Die Mutationen des Virus sind ein weiteres Horrorszenario. Haben wir eine Chance, dem zu entkommen?
Ich glaube nicht, dass wir den Mutationen entkommen. Die sind schon unter uns. Da sollte uns allerdings nicht zu sehr erschrecken. Das Virus hat schon tausende Mutationen hinter sich, ohne dass wir alle im Detail kennen. Die jetzigen Mutationen fallen unangenehm auf, da das Virus dadurch ansteckender wird. Solange die Impfstoffe auch gegen die mutierten Varianten helfen, ist alles im grünen Bereich. Falls die Wirksamkeit der Impfstoffe ein Problem wird, greift ein weiterer Vorteil der mRNA Impfstoffe. Diese können innerhalb weniger Wochen „umprogrammiert“ werden, um dann spezifisch auch gegen die Mutanten zu wirken. Das ist wie bei einer Computer-App, die bei Sicherheitslücken aktualisiert wird.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewinnen im Laufe der Corona-Krise immer mehr an Einfluss, weil die Handelnden in der Politik oftmals hilflos wirken.
Ich finde es grundsätzlich gut, dass sich Politik Sachverstand auf den Feldern holt, die sie nicht abdecken kann. Genauso wenig wie Wissenschaftler Alleswisser sind, sind auch Politiker keine Allrounder. Für die Zukunft sollten wir die positiven Erfahrungen, die wir zurzeit mit dem Einholen von Expertenwissen gesammelt haben, auch auf andere Herausforderungen anwenden.
Was sagen Sie zu den Befürchtungen, dass es eine „Diktatur“ der Wissenschaften geben könnte, weil Entscheidungen für die gesamte Bevölkerung durch WissenschaftlerInnen vorbereitet werden, die aber niemand gewählt hat?
Das halte ich für übertrieben. Die Entscheidungen treffen ja immer noch die gewählten Politiker. Die Entscheidungen werden ja auch formal nicht von WissenschaftlerInnen vorbereitet, sondern diese geben nur ihre Einschätzungen ab. Jedem, der die Podcasts von Professor Drosten gehört hat, wird aufgefallen sein, dass er, neben vielen anderen WissenschaftlerInnen, sehr früh darauf hingewiesen hat, dass Expertise von allen Bereichen eingeholt werden muss und nicht nur von Virologen. Der Wissenschaft selber liegt nichts an Diktatur; Wissenschaft lebt ja von der mehrstimmigen Diskussion.
Es ist doch auch bezeichnend, dass Politiker, die einen wissenschaftlichen Background haben, klare Prioritäten setzen. Prof. Karl Lauterbach ist doch ein tolles Beispiel für die stärkere Zuwendung zu seinem wissenschaftlichen denn politischen Ich. Als „gespaltene Persönlichkeit“ könnte er sich wahrscheinlich selbst beraten.
Wir in Köln sind ja emotional grundsätzlich eher positiv eingestellt. Was kann man denn trotz all der vielen tragischen Erkrankungen und Todesfälle aus der Corona-Krise lernen, um optimistisch in die Zukunft zu schauen?
Es klingt natürlich im Lichte der vielen Verstorbenen etwas abwegig, wenn man diesem schrecklichen Szenario etwas Positives abgewinnen will.
Positiv ist aber, dass jedem die Bedeutung von wissenschaftlichen Erkenntnissen vor Augen geführt wird. Es mag den ein oder anderen erstaunen, dass WissenschaftlerInnen durchaus angenehme und sympathische Zeitgenossen sind und nicht im Labor versauernde Autisten.
Wir erkennen auch die enorme Bedeutung der medizinischen und pflegerischen Berufe und vergessen hoffentlich nicht, dass wir in Zukunft PflegerInnen in Kliniken und Pflegeheimen auch finanziell mehr wertschätzen müssen.
Es wurden weltweit enorme finanzielle Mittel zur Bekämpfung der Pandemie lockergemacht. Solche Anstrengungen sind also möglich und sollten auch zur Bekämpfung anderer Katastrophen eingesetzt werden. Klimawandel, weltweite Hungersnöte, Wassermangel, Armut sind zwar momentan nicht im Fokus der Medien, aber noch genauso virulent wie vor Corona.
Händeschütteln, umarmen, Schulter klopfen, schunkeln oder gar Stippeföttchen: in Köln sind wir uns für nichts zu schade. Was meinen Sie als Humanbiologe dazu?
Ich muss gestehen, dass ich das Händeschütteln überhaupt nicht vermisse, und ich werde das auch nach Corona bleiben lassen. Es wurde auch bisher vor jeder Wintersaison immer gewarnt, dass Händeschütteln wesentlich zur Übertragung der Grippe beiträgt. Unsere derzeitigen Kontaktbeschränkungen und andere Vorsichtsmaßnahmen wie Masken sind ja extrem erfolgreich auch gegen andere Infektionserkrankungen. Die Grippewelle ist so gut wie ausgeblieben, auch die Infektionen mit Masern sind stark zurückgegangen. Ich nehme mir vor, auch in Zukunft öfter mal eine Maske zu tragen, obschon es zugegebenermaßen sehr gewöhnungsbedürftig ist, zumindest außerhalb der Karnevalszeit.
Umarmen, Schulterklopfen, Schunkeln und Stippeföttchen wird wiederkommen, zumindest für mich. Das sind alles Verhalten, die einem in die Kölner Wiege gelegt werden; man sollte auch jetzt nicht alles Zwischenmenschliche über Bord werfen.
Können Sie den Kölnerinnen und Kölnern Hoffnung für die Zukunft in alter Normalität machen?
Oh ja – ich bin überzeugt, dass die Normalität wieder zurückkehrt, spätestens Ende 2021, Anfang 2022, wenn die meisten durch die Impfung geschützt sind. Wir werden uns allerdings an Schutzmaßnahmen gewöhnen müssen. Das Virus verschwindet ja nicht von heute auf morgen. Wir werden dann mit ihm leben, aber wesentlich entspannter als momentan.
In dem Zusammenhang darf man nicht vergessen, dass es auch enorme Anstrengungen gibt, Medikamente gegen das Virus zu entwickeln. Es gibt also viel Licht am Ende des Tunnels.
Und noch etwas Positives?
Et hätt noch immer jot jejange und der FC hält die Klasse.
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Das Interview mit Professor Schemann führte Ertay Hayit
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Michael Schemann, geboren 1956 in Köln, dort aufgewachsen, verheiratet, eine Tochter, studierte an der Universität Hohenheim und verbrachte nach seiner Promotion mehrere Jahre in den USA. Bevor er 2002 den Lehrstuhl für Humanbiologie an der Technischen Universität München aufbaute, war er am Max-Planck-Institut in Bad Nauheim und später Professor für vegetative Physiologie an der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
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Hinweis in eigener Sache
Im Verlag Hayit Medien, der auch dieses Koeln-Magazin publiziert, ist von Professor Schemann, zusammen mit zwei weiteren Professoren, das Buch „Die Familie Lüderitz. Geschichte und Geschichten aus drei Jahrhunderten" erschienen.