Am 29. April 1983 wurde dem Kölner Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll bei einem Festakt in der Piazzetta des Historischen Rathauses das Ehrenbürgerrecht der Stadt Köln verliehen.
In der Verleihungsurkunde heißt es: „Hochverehrter Herr Böll! In Ihnen verehrt die ganze literarische Welt einen der bedeutendsten Autoren der Nachkriegszeit. Ihr Werk ist in viele Sprachen verbreitet; Ihr Name besitzt in der ganzen Welt einen guten Klang; Ihr Wort findet offene Ohren. Die Verehrung, die man Ihnen entgegenbringt und das Ansehen, das Sie genießen, ist zum Ausdruck gekommen in vielen Auszeichnungen, Literaturpreisen, Ehrenmitgliedschaften mehrerer Akademien und in Ehrendoktoraten. … 1972 wurde Ihnen die höchste Auszeichnung zuteil: Sie erhielten den Nobelpreis für Literatur. Unsere Stadt Köln ist nicht zuletzt mit Ihnen wieder eine Literaturstadt geworden.“
Gewürdigt werden sollte mit der Auszeichnung aber auch Bölls persönliches Engagement für andere, wie es weiter in der Verleihungsurkunde steht: „Sie haben für die Autoren das ’Ende der Bescheidenheit’ beschworen, die ’Einigkeit der Einzelgänger’ gefordert und sich dadurch bleibende Verdienste um ihre Zunftgenossen erworben. Dazu gehört Ihr unerschrockener und hartnäckiger Einsatz für verfolgte Autoren überall in der Welt. Darüber und über mannigfaltige persönliche Hilfeleistungen haben Sie geschwiegen, nie sich gebrüstet. Immer aber findet man Sie auf der Seite der Verfolgten, der Zurückgesetzten, der Schwachen. Ihre Freunde wissen, dass ungezählte Menschen von Ihnen materielle und ideelle Hilfe erhielten.“
Die Stadt Köln ehrte an diesem Tag vor 25 Jahren einen Schriftsteller, der in seinem Werk viele Liebeserklärungen an Köln abgegeben hatte, an das römische Köln, die romanischen Kirchen, die Museen, den Rhein und seine Brücken; Liebeserklärungen aber auch an die Kölner Bürger mit ihrer alten demokratischen Tradition, mit ihrer geringen „Anfälligkeit für Demagogie, ihrem Misstrauen gegenüber bombastischer Autorität“ und ihrem penetrant Unmilitärischen. In dieser ihm vertrauten Umgebung, auf dieser „Kölner Bühne“ thematisierte Böll nicht nur die Lebensumstände seiner Protagonisten, sondern Deutsche Zeitgeschichte: bis Anfang der 1950er Jahre insbesondere die Nazizeit, die Zeit des Krieges und die Nachkriegszeit im zerstörten Köln. In der Wirtschaftwunderzeit wandte sich Böll immer mehr der Gegenwart und der politischen Situation in der jungen Bundesrepublik zu. Sein essayistisches Werk nahm neben den Romanen immer größeren Raum ein. Böll „mischte“ sich ein: Er bezog Stellung zur „Neuen Ostpolitik“ und zum RAF-Terrorismus. Anfang der 80er Jahre engagierte sich der Literaturnobelpreisträger in der Friedensbewegung und unterstützte die neugegründete Partei „Die Grünen“. Auch seine Heimatstadt Köln bekam mitunter seine Kritik zu spüren, etwa wenn er von der „selbstgefälligen kölschen Bürgerschaft“ oder von der „Arroganz der Kölner“ sprach.
Mit seinem politischen Engagement eckte Heinrich Böll an, vor allem bei konservativ eingestellten Literaturfreunden, die das Poltische aus dem Poetischen herausgehalten haben wollten. So kam es im Vorfeld des Ratsbeschlusses, Böll das Ehrenbürgerrecht der Stadt Köln zu verleihen, zu einer politischen Auseinandersetzung. In seiner Dankesrede ging der Schriftsteller darauf ein: „Was ich nicht begriffen habe, was mich deshalb natürlich auch nicht kränken konnte, war der Versuch, den sogenannten Erzähler von dem anderen zu trennen, der da gelegentlich Aufsätze schreibt, Kritiken, den man gelegentlich reden hört, ganz abgesehen davon, dass auch Aufsätze, Kritiken und Reden Literatur sind. … Jeder täuscht sich, der irgendeine Ehrung einem Autor zuteil werden lässt, lassen möchte, der ganz und gar allen passt, einen Ausgewogenen, dann ist er kein Autor mehr, den Sie ehren möchten, nur noch ein Langeweiler.“
Nicht umsonst bezeichnete der Schriftsteller Carl Amery in seiner Laudatio zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde Böll als „notorischen Nicht-in-Reih-und-Glied-Marschierer“.
Auch der damalige Kölner Oberbürgermeister Norbert Burger hob in seiner Rede anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde den Wert des „unbequemen“ Böll hervor: „Köln lieben heißt nicht kritiklos sein, schönfärben, die Augen verschließen vor der Wirklichkeit. Im Gegenteil, es muss heißen: aufmerksam sein und aufmerksam machen, Kritik üben, aktiv etwas verändern. Und das tun Sie, lieber Heinrich Böll, wie kaum ein anderer. In diesem Sinne sind Sie Kölner wie kaum ein anderer.“
Heinrich Böll, der am 21.12.1917 in Köln geboren wurde, hier zur Schule ging und aus der Kriegsgefangenschaft hierhin zurückkehrte, lebte seit dem Sommer 1951 „als freier Schriftsteller mit festem postalischem Wohnsitz in Köln, aber ständig wechselndem Arbeitsplatz.“ Seit 1981 lebte er in Bornheim-Merten bei Köln und in Langenbroich in der Eifel. Böll starb 1985 in Langenbroich und wurde in Bornheim-Merten beigesetzt. Der 1980 gestiftete Kölner Literaturpreis wurde 1985 nach Heinrich Böll benannt.
Nach eigenem Bekenntnis war Köln Hintergrund sehr vieler seiner Romane und Erzählungen und für ihn als Autor prägend. Folgende Auszüge aus seinem Werk verdeutlichen das besondere Verhältnis Bölls zu seiner Stadt:
„Ich stamme aus dieser Stadt. Vieles an ihr ist mir selbstverständlich, manches fremd, immer fremd geblieben, einiges fremd geworden. Aber diese Fremdheit würde ich als Stuttgarter und Tuttlinger genauso empfinden, denn ich bin ziemlich sicher, wir gehören nicht ganz hierher, auf diese Erde meine ich. Unsere Heimat ist auch anderswo. Was mich an dieser Stadt in ihr wohl geprägt hat, war etwas, das ich sehr schwer definieren kann, etwas Architektonisches: Das Frühe, das die romanische Architektur ausstrahlt, die Romanik eben, in der ja auch eine Utopie, ein Traum zu verwirklichen versucht worden ist, den wir Christentum zu nennen übereingekommen sind, und wie der Name Romanik ja sagt, auch etwas Römisches. Nicht den kalten Angeberpomp der Peterskirche, der ja eigentlich einen nur in Erkältung treibt, sondern eine tiefe Innigkeit, die auch in Rom zu Hause und noch zu finden ist. Was ich außerdem liebe, ist etwas Zerbrechliches, die römischen Gläser, und ich danke Ihnen noch einmal besonders herzlich für die Replik eines römischen Glases, die die Stadt mir zum Geburtstag geschenkt hat und natürlich den Rhein, den ich einmal eine ‚schmutzige Majestät’ genannt habe.“ (Böll in seiner Dankesrede 1983 - zitiert nach „Heinrich Böll: Ich han dem Mädche nix jedonn, ich han et bloß ens kräje. Texte; Bilder, Dokumente zur Verleihung des Ehrenbürgerrechts der Stadt Köln, 29. April 1983, S. 55)
„Ich habe vor dem Krieg schon ein heimatliches Gefühl gehabt gegenüber der Stadt Köln; die hatte damals etwas sehr Gemütliches, wie ein Wohnzimmer, nicht ganz so sauber, ein bisschen verkommen, aber man konnte drin spazieren gehen. Diese Heimat habe ich eigentlich doch in Erinnerung. Sie ist dann allerdings zerstört worden durch die Nazis.“ (Böll 1975, a.a.O. S. 57)
„Es gibt zwei Köln, die in diesem Sinn ‚heimatlich’ waren: das Vorkriegsköln zwischen Raderthal und Chlodwigplatz, zwischen Vorgebirgsstraße und Rhein, dazu noch die Südbrücke und die Poller Wiesen; das zweite Köln, das in diesem Sinn ‚heimatlich’ war, war schon ein anderes, das zerstörte Köln, in das wir 1945 zurückzogen. Diese beiden Köln sind Gegenstand der Erinnerung – und der Sentimentalität natürlich.“ (Böll 1967, a.a.O. S. 58 f.)
„Ich glaube, dass Köln der Hintergrund meiner Romane und Erzählungen ist, sehr vieler, wollen wir sagen, und ich glaube allgemein, also über das Persönliche hinaus, dass die Stadt, in der ein Autor gelebt hat, bis er 21 Jahre alt war, immer für ihn entscheidend und bedeutend sein wird. Was Köln nun betrifft, jetzt hier am Ort gesprochen, den Autor gefragt, der hier geboren ist, dann würde ich sagen, dass es für mich drei Kölns gibt: das erste, in dem ich meine Jugendzeit verbracht habe, aus dem ich dann auszog, um das Fürchten zu lernen, dann das zerstörte Köln, ein ganz anderes als das alte, und dieses jetzt hier vorhandene, das mir fast völlig fremd ist und für mich literarisch überhaupt keine Bedeutung hat; also, es sind eigentlich diese beiden Kölns der Erinnerung, die für mich als Autor wichtig geblieben sind.“ (Böll 1967, a.a.O. S. 59)
„Zu Hause bin ich da, wo jeweils meine Familie sein mag, wo ich die Bekannten kenne; Köln liegt da, wo ich die Unbekannten kenne, liegt am Rhein, hat Kirchen und Brücken und viele Gesichter, römische Legionäre kratzten diese Geschichte in Ziegel, mittelalterliche Baumeister bauten die romanischen Kirchen, die viel kölnischer sind als der Dom, der ein wenig fremd, für Fremde, so nahe am Bahnhof und viel zu nahe an den großen Hotels liegt; zu leicht kann man sich einbilden, Köln zu kennen, wenn man aus einem Hotelfenster auf den Dom blickt, Köln liegt für mich am Perlengraben und auf dem Platz vor Sankt Severin, es ist die Stadt der Unbekannten, die ich kenne.“ (Böll 1961, a.a.O. S. 62)
„…der Karneval stammt aus dem Volk, er ist klassenlos, so wie eine ansteckende Krankheit keine Klassenunterschiede kennt. Den Fasching bemerkt man nicht im Leben einer Stadt, man kann ihn ignorieren; in Köln den Karneval ignorieren zu wollen, wäre zwecklos; man kann sich nur aus der Ansteckungszone entfernen.“ (Böll 1960, a.a.O. S. 62 f.)
Quelle: Stadt Köln




